Heimweh nach der Schweiz

Ich kann mich noch gut erinnern wie ich im Dezember 1999 in meine Wohnung eingezogen bin. Wochenlang habe ich Kartons ausgepackt, war im Baumarkt, bei IKEA, wieder Kartons, Bohrmaschine, Akku-Schrauber, Pinsel, SĂ€ge, Baumarkt, IKEA – was fĂŒr ein krasser Monat. In der Woche vor Weihnachten wurde dann die KĂŒche geliefert. Als alles (fast) fertig war, hatte ich noch ein 60er TĂŒr ĂŒbrig. Hm, neben der SpĂŒle war noch ein riesiges Loch, ich hatte vergessen die SpĂŒlmaschine zu bestellen. Deshalb war das so preiswert!! Aber Expert Bielinsky konnte helfen, an Heiligabend kam die SpĂŒlmaschine. Am ersten Weihnachtstag dann der Einbau des KĂŒhlschranks, war das ein Krampf. Einige Woche spĂ€ter war lĂ€ngst nicht alles fertig und dann geht an einem Mittwoch abends um 20h das Telefon. Am anderen Ende Kollegin Sylvia aus der Schweiz. Sie braucht am Freitag „Support bei einem Meeting mit Oracle“ – im Worldtrade Center in ZĂŒrich – ok…

Am Donnerstag bekomme ich spĂ€t abends noch eine E-Mail mit einem fast 150 Seiten starken Angebot. Ab in den Laserdrucker und dann endlich nach Hause. Am Freitag dann zum Köln-Bonner Flughafen. Der Flug dauer etwa 90 Minuten und ich habe endlich Zeit das Angebot zu lesen. Auf einer der letzten Seiten stehen dann Namen von Mitarbeitern, ihre TagessĂ€tze und ihre VerfĂŒgbarkeit. Hinter meinem Namen steht ein hoher Tagessatz und bei der VerfĂŒgbarkeit steht: 100% Hui, ich bin der EINZIGE angebotene Berater mit einer VerfĂŒgbarkeit von 100%!! Langsam wird mir klar, dass ich wohl zu einem neuen Projekt anreise. Das Meeting mit Oracle ist dann schnell abgehandelt und ich bin von der Schweizer GeschĂ€ftsstelle sehr angetan. WĂ€hrend ich im großen Besprechungszimmer sitze, öffnet sich die TĂŒre, jemand kommt herein und macht eine Geste wie ein Fußballtrainer nach dem 7:6 im Elfmeter-Schießen: „Ja, wir haben das Projekt!“ Dann ist er schon wieder weg, ich habe gerade den JĂŒrg kennen gelernt, der Chef der Schweizer Niederlassung. Ok, hier ist irgendwie alles anders.

Am Abend geht es heim und am Montag bin ich dann schon wieder dort. Mit einem Mietwagen geht es abends nach Luzern zur SUVA. Ich bin das erste Mal in meinem Leben am VierwaldstĂ€dter See. Was fĂŒr ein Panorama und was fĂŒr eine großartige Stadt. Vielleicht die schönste Stadt der Schweiz und hier werde ich eine Weile arbeiten. Dass dieses Projekt dann 1,5 Jahre dauern wird und dass noch viele Monate bei der SUVA verbringen werde, ist mir an diesem Tag noch nicht bewußt!

Nach einigen Wochen in Luzern wird dann ein ProjektbĂŒro in Cham bezogen. Nun wohne ich in Bonn, arbeite in einem Projekt fĂŒr die Schweizer Kollegen in ZĂŒrich, fĂŒr einen Kunden in Luzern in einem BĂŒro im Kanton Zug. Ok…

Wohnen tue ich von Anfang an im Hotel zum Rebstock in Luzern. Ein grandioses Hotel und die Menschen dort wachsen mir schnell an Herz. Die Chefin Frau Moser ist einfach nur großartig. Eine Ă€ltere Dame die mit Pablo Picasso bekannt war. Sie ist cool und trĂ€gt jeden Tag rote Schuhe. Alle Zimmer sind individuell eingerichtet, hier hat vor einigen Jahren ein damals noch wenig bekannter Designer mit Namen Philippe Starck geholfen. Eines Tages sitze ich nach einem Meeting auf dem Beifahrersitz von JĂŒrg’s Audi S6. Auf der Autobahn sind 120 km/h erlaubt und JĂŒrg hĂ€lt sich auch daran. Doch hin und wieder lĂ€ĂŸt er den Audi auf 100 km/h zurĂŒckfallen, um dann mit einem Kick-Down auf 140 zu beschleunigen und den gewaltigen Sound zu genießen. Mich presst es dabei in die Polster und es entwickelt sich Achtung vor diesem Fahrzeug. Als ich ihn bitte mich bei SIXT am Flughafen abzusetzen, kommt das GesprĂ€ch darauf, was ein Golf bei SIXT als Mietwagen pro Monat kostet. „Aber das können wir doch billiger haben!“ Er greift zum Telefon und ruft seinen Spezi Mauro an. Sie tauschen ein paar Floskeln aus und dann fragt er mich „Willst an Audi oder an Jaguar?“ „NatĂŒrlich einen Jaguar!“ „Ok, er nimmt den Jaguar!“ Ich denke noch „Hey, der verarscht Dich jetzt aber ganz köstlich!“ Als ich eine Stunde spĂ€ter bei Mauro aus dem Taxi steige, steht da tatsĂ€chlich ein Jaguar! Ein dunkelblauer Jaguar XJ – Daimler Double Six. Dann die Probefahrt gemeinsam mit Mauro. „Ja gib halt mal Gas! Ja, jetzt einen Kick-Down!“ Die zwölf Zylinder schöpfen aus 6 Litern Hubraum ganze 300 PS, was fĂŒr ein GerĂ€t!

WĂ€hrend der nĂ€chsten Monate sieht mein Tagesablauf immer wieder gleich aus. Montags frĂŒh aufstehen, mit dem Taxi zum Köln-Bonner Flughafen fahren, mit Lufthansa, Swiss-Air oder Cross-Air nach ZurĂŒck fliegen, mit dem Taxi zum World-Trade-Center, in der Tiefgarage in meinen Jaguar umsteigen und nach Luzern fahren. Freitags dann alles in umgekehrter Reihenfolge! Wie cool! Mit GlĂŒck bekomme ich immer mal das Zimmer 164. Es ist im Rebstock ganz oben unter dem Dach und hat eine kleine Dachterrasse mit Blick auf den VierwaldstĂ€dter See. Was fĂŒr ein Projekt, was fĂŒr ein Land!

Nachdem das ProjektbĂŒro in Cham am Zuger See eingerichtet ist, geht es morgens und abends mit dem Jaguar am See entlang. Nach und nach kommen weitere Kollegen ins Projekt und wir alle haben trotz der vielen Arbeit eine Menge Spaß. Abends gibt es im Restaurant Lamm EntrecĂŽte mit Wellen-Pommes-Frites. Dazu ein Kloster-Bier und als Nachtisch ein StĂŒck Schokoladenkuchen mit Rahm. Was fĂŒr ein Leben! Nach vier Monaten passt keiner meiner AnzĂŒge mehr und erstmals zeigt ĂŒber 100 Kilogramm. Hui…

Am Pfingst-Montag bringe ich dann meine rote BMW R80-RT nach Luzern. Nun brechen andere Zeiten an und das Körpergewicht geht auch wieder zurĂŒck. Die Kollegen lasse ich allein mit dem Jaguar nach Cham fahren, ich bin ja nicht ihr Chauffeur. WĂ€hrend sie sich am 12-Zylinder-Sound erfreuen genieße ich Tag fĂŒr Tag den ĂŒberirdischen Frieden auf meiner einsamen Fahrt zum BĂŒro. Nach der Arbeit geht es durch die Berge, rund um den See, viele Wochenenden verbringe ich in der Schweiz. Meine Freundin Nina kommt mich immer mal wieder besuchen und wir fahren ĂŒber den Klausenpass, Sustenpass, Pragelpass, Grimsel, Furka und und und… Es gibt Barbeque-Fahrten mit dem Schaufelraddampfer und abendliche SpaziergĂ€nge zum IMAX-Kino im Verkehrshaus der Schweiz. Ich liebe dieses Land!

Im Winter sehe ich dann frĂŒh morgens ein AlpenglĂŒhen und kurz danach ist schon wieder Karneval. Die Zeit vergeht im Flug.

Daheim in meiner Wohnung herrscht wĂ€hrend dessen totaler Stillstand. Es dauert noch Jahre bis alle Umzugskartons aus der Ecke im Wohnzimmer verschwunden sind. Als das Projekt dann beendet ist und ich meine rote BMW wieder heim bringe, keimt Wehmut auf. Doch ein paar Jahre spĂ€ter gibt es wieder ein Projekt in der Schweiz. Diesmal lasse ich die rote BMW daheim und fahre statt dessen mit dem roten Peugeot 406 CoupĂ© nach Luzern. Der Peugeot spult fahrt Fahrt um Fahrt ab. Oft geht es mitten in der Nacht auf die Autobahn, zum Sonnenaufgang bin ich am VierwaldstĂ€dter See, um 8h im BĂŒro. Der Peugeot fĂ€hrt und fĂ€hrt, ĂŒber 100.000 Kilometer kommen so zusammen. Je Kilometer gibt es 30 Cent Spritgeld. Damit ist das Auto schnell komplett bezahlt – alles im „Dienste des Herren“ – wie cool…

Viele Jahre spĂ€ter bin ich nun ein großer Fan der Schweiz. Ich könnte dort immer wieder dort hin fahren, denn es ist einfach wunderschön. WĂ€hrend des ersten Projektes war die „Matrix“ in aller Munde. Wir haben oft Scherze darĂŒber gemacht, dass wir sicherlich auch innerhalb einer Matrix sein mĂŒssen, denn es ist einfach alles zu schön und zu perfekt um wirklich wahr zu sein. Aber es ist wahr!

Warum schreibe ich eigentlich all das hier? Na, weil ich eben bei YouTubeÂ ĂŒber dieses geniale kleine GoPro-Video gestolpert bin. Meine „zweite Heimat“ sieht man hier mal aus der schönsten aller Perspektiven, aus der Vogel-Perspektive!

Enjoy it…

 

Hier habe ich noch einige Fotos die ich damals in der Schweiz gemacht habe. Aller Fotos sind mit einer Nikon F4s auf Fuji Velvia 50 oder Kodak Extra-Colour 100 gemacht. Gescannt habe ich die Bilder mit einem Nikon Coolscan ED. Wer die Bilder anklickt bekommt sie in der 1000er Auflösung zu sehen.

Ein paar Jahre spÀter habe ich dann viel mit der Nikon D2x  und der Nikon D300 fotografiert.

Aber auch meine Nikon F5 wurde dort viel benutzt…

Zuletzt war ich mit einer Mamiya 645 Pro und einigen Rollen Fuji Velvia 50  in der Schweiz…

Was fĂŒr ein traumhaftes kleines Land…

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